Verschwörungstheorien

In der Corona-Krise wird das Gerücht verbreitet, das neue 5G-Netz könnte zur Pandemie beitragen oder sogar dafür verantwortlich sein.

Bild: iStock / gaspr13

Verschwörungstheorien

Was sind Verschwörungsideologien?

Verschwörungsideologien haben Hochkonjunktur, wenn eine Gesellschaft in der Krise ist. Sie kreisen zur Zeit rund um das Corona-Virus, um dessen Entstehung und Bekämpfung.

Vom Aluhut zur Alu-Bommel

Es war Julian Huxley, erster UNESCO-Generaldirektor, der 1927 in der Science-Fiction-Kurzgeschichte „The Tissue-Culture King“ beschrieb, wie die Hauptfigur entdeckt, dass Kopfbedeckungen aus Metallfolie ungewollte Telepathie und Gedankenkontrolle verhindern könnten. In der Mitte des 20. Jahrhundert wurde der Aluhut in den USA im Klima erhitzter Raumfahrt- und Wettrüstungsprogramme und Berichte über angebliche UFOs zum beliebten Accessoire UFO-Gläubiger, um mit den Aliens in Kontakt zu treten. In der Umgangssprache wird „Aluhutträger“ meist in einer abwertenden Bedeutung verwendet, um Anhänger*innen von Verschwörungsideologien zu bezeichnen.

Seit Beginn der Corona-Krise ist eine neue Entwicklung zu beobachten: Bei den sogenannten Hygiene- und Querdenker-Demos sind Teilnehmende zu sehen, die eine Alu-Bommel an einer Schnur mit sich führen. Ihnen geht es darum, sich als Widerständler*innen gegenüber den Corona-Schutzmaßnahmen der Regierung zu erkennen zu geben und gegen die Berichterstattung in den gängigen Medien zu protestieren. Es war Bodo Schiffmann, ein HNO-Arzt, der in einem Youtube-Video am 12.April erstmals vorschlug, den Aluhut nicht auf dem Kopf zu tragen, sondern zu zerknüllen und als Bommel mit sich zu führen.

Cover des Buches

Was sind „Verschwörungstheorien“?

Dieser Begriff ist aus wissenschaftlicher Sicht sehr unpräzise und deshalb nicht geeignet, das Phänomen zu bezeichnen. Daher ist es besser, ihn durch genauere Bezeichnungen zu ersetzen. Dazu bieten sich vier Möglichkeiten an:

Das erste wäre die Verschwörung selbst. Menschen tun sich heimlich zusammen, um ein schädliches Ziel zu verfolgen, um zu betrügen usw. Solche Verschwörungen hat es in der Geschichte viele gegeben.

Dann gibt es die Verschwörungshypothese. Jemand äußert den Verdacht, dass eine Verschwörung im Gang ist. In einer Demokratie ist es absolut legitim, so eine Vermutung zu äußern, etwa im investigativen Journalismus. Freilich muss so sie dann durch Fakten belegt oder aber fallengelassen werden.

Die Grenze zur Verschwörungsideologie wird dort überschritten, wo es für eine Verschwörungshypothese keine Belege gibt (oder sogar Beweise gegen sie vorliegen), und Menschen trotzdem daran festhalten.

Bei einem Verschwörungsmythos schließlich wird zudem behauptet, dass nicht-menschliche Wesen an der Verschwörung beteiligt sein sollen, also z. B. Außerirdische.

Weltanschauungen News Sonderausgabe 2

Cover des Buches Weltanschauungen News Sonderausgabe 2: Digitalisierung.  Sakralisierung.  Sünde.  Transhumanismus.

Digitalisierung. Sakralisierung. Sünde. Transhumanismus.

Die vorliegende Sonderausgabe widmet sich einer weltanschaulichen Analyse des aktuellen Themas „Digitalisierung“ und tritt an, um den theologischen Nachweis zu erbringen, dass der „Mensch trotz immer raffinierterer Technologie nicht besser wird“. Von Kirchenrat PD Dr. Haringke Fugmann, Landeskirchlicher Beauftragter für religiöse und geistige Strömungen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

 

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Herausgeber der WAS NEWS: Arbeitskreis Apologetik der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern
Erscheinungsort: München
WAS-News erscheint einmal jährlich.
ISSN (Print) 2569-0345
ISSN (Online) 2569-121X

Wenn man den Begriff in dieser Weise aufschlüsselt, dann ergibt sich daraus für die aktuelle Situation eine wichtige Einsicht: Nicht jede abweichende Meinung, etwa was die Deutung der Statistiken zu Covid-19 oder die Beurteilung der aktuellen Sicherheitsmaßnahmen angeht, ist schon an sich eine Verschwörungshypothese oder -ideologie, sondern zunächst einmal einfach eine andere Meinung. Ob diese dann richtig oder falsch ist, muss freilich diskutiert werden, und zwar von Wissenschaftler*innen aller Fachbereiche, von der Politik und von der Gesellschaft. Weil das Wissen über das Virus anfangs begrenzt war und weiter wächst, können sich Einschätzungen auch ändern.

Was nun tatsächliche Verschwörungsideologien rund um das Corona-Virus angeht, haben sich in den letzten Monaten einige einschlägige Narrative durchsetzen können. Sie kreisen um die Entstehung des Virus oder haben verschwörerische Mächte in Verdacht, die das Weltgeschick lenken sollen.

So wird gemutmaßt, dass das Virus aus einem Genlabor in Wuhan ausgebrochen sei oder bewusst freigesetzt wurde. Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich die Frage, woher das Virus tatsächlich stammt, bisher nicht zweifelsfrei klären.

Nicht selten taucht Bill Gates als Hauptverdächtiger finsterer Machenschaften auf, dabei wird nicht selten zugleich über die finanziellen Interessen von „Big Pharma“ und über die Rolle der WHO in der Pandemie spekuliert. Zur Popularität dieses Narrativs trug u. a. ein Interview mit Gates bei, das die Tagesschau am 12.4.2020 ausstrahlte. Darin sagte Gates laut Übersetzer: „Wir werden den zu entwickelnden Impfstoff letztendlich sieben Milliarden Menschen verabreichen“. Ihm ging es in diesem Zusammenhang um die Minimierung von Nebenwirkungen, aber in verschwörungsideologischen Kreisen wurde gemutmaßt, Gates sei an der Entstehung des Virus beteiligt gewesen, wollte die Menschheit dezimieren oder mittels Zwangsimpfung kontrollieren.

Weiter solle in der Pandemie – so manche Verschwörungsgläubige – die Demokratie abgeschafft und/oder eine Art neue Weltregierung errichtet werden.

Als besonders problematisch erweisen sich solche Ideologien, die heimlich oder ganz offen von einer jüdischen Verschwörung ausgehen und als antisemitisch zu bezeichnen sind. Beispielhaft sei hierfür die QAnon-Theorie genannt, deren Anhänger*innen ein großes „Q“ als Erkennungszeichen tragen. Man kann QAnon als eine Art Open-Source-Verschwörungsideologie bezeichnen, die in den sozialen Netzwerken des Internets damit begann, dass sich ein*e gewisse anonyme*r Q (oder ein Kollektiv, das sich dahinter verberge) als vermeintlich hochrangige*r US-amerikanischer Militärangehörige*r zu erkennen gegeben habe. Nach Q bekämpfe Donald Trump weltweit einen „deep state“, also „tiefen Staat“, d. h. eine internationale Gruppe von (auch jüdischen) Verschwörern, Satanisten und Kinderschändern, die unter der Oberfläche der Erde Kinder gefangen halten würden, um ihnen Adrenochrom, ein Stoffwechselprodukt des Adrenalin, zu entnehmen, welches angeblich ewige Jugend verleihe. Damit greift QAnon in abgewandelter Form die seit Jahrhunderten verbreitete antisemitische Verschwörungsideologie von der Entführung und vom Ritualmord von Kindern durch Juden auf.

Kirchliche Beratungsstellen

• Dr. Matthias Pöhlmann, Landeskirchlicher Beauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche für Sekten- und Weltanschauungsfragen, Tel. 089 559 5610

• Bernd Dürholt, Beratungsstelle Neue religiöse Bewegungen im Evangelisch-Lutherischen Dekanatsbezirk München, Tel. 089 538 868 617

• PD Dr. Haringke Fugmann, Landeskirchlicher Beauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche für religiöse und geistige Strömungen, Tel. 0921 787 759 16

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Warum gibt es Verschwörungsideologien?

Verschwörungsideologien haben immer Hochkonjunktur, wenn eine Gesellschaft in der Krise ist. Das war schon in den letzten Jahren zu beobachten, als Verschwörungsideologien rund um das Thema Klimawandel sehr populär wurden. Die Corona-Pandemie war und ist eine akute Krise: Menschen haben Angst um ihr Leben, viele fühlten sich gerade während des strengeren Lockdowns einsam und alleingelassen, eine Zeit lang durfte man nicht einmal seine Angehörigen besuchen, Grundrechte wurden eingeschränkt, Normalität war weitgehend abhandengekommen. In solchen Situationen will man verstehen, was los ist, will man das Gefühl haben, wenigstens ein Stück weit noch Kontrolle über sein Leben zu haben, will man seinen Ängsten etwas entgegensetzen. Genau da können Verschwörungsideologien ansetzen, indem sie eine Erklärung anbieten, die eingängig ist, angeblich Sinn herstellt und die eigenen Ängste reduziert. Das Gefährlich daran ist, dass Menschen dadurch stark emotionalisiert werden und dann schnell einem angeblichen Sündenbock die Schuld geben, was zu einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft führt.

Außerdem muss man sich klarmachen, dass der sich zur Zeit äußernde Unmut vielfach eine Vorgeschichte hat: Schon lange vor Corona gab es Menschen, die den Eindruck hatten, dass sie ihre Meinung nicht offen sagen durften – jetzt müssen sie einen Mund-Nasen-Schutz tragen, und dieser wird für sie symbolisch zum „Maulkorb“. Schon vor Corona gab es Menschen, die Angst vor Digitalisierung und Überwachung hatten – jetzt übertragen einige davon diese Angst auf Bill Gates als Symbolfigur der Digitalisierung schlechthin. Schon vor Corona gab es vehemente Impfgegner*innen – jetzt taucht für sie mit einer möglichen Impfung gegen Corona (und vor dem Hintergrund der eingeführten Masern-Impfpflicht) ein neues Schreckensgespenst am Horizont auf. Das heißt: Die aktuelle Corona-Krise hat alle diese Themen gebündelt, diejenigen zusammengeführt, die schon vorher unzufrieden waren oder Sorgen und Ängste hatten, und hat einen neuen und gemeinsamen Raum des Widerstandes geschaffen.

Wie geht man damit um?

Viele Menschen machen sich zur Zeit sorgen, weil sich ein Familienmitglied zusehends tiefer in Verschwörungsideologien verstrickt. Sie stellen vielleicht einen regelrechten Persönlichkeitswandel fest und es kommt zu immer mehr Streitigkeiten rund um dieses Thema. Hier kann man schlecht einen allgemeingültigen Rat geben, aber als Faustregel lässt sich sagen: Solange jemand noch nicht tiefer darin verstrickt ist, kann man ihn oder sie oft noch mit rationalen Argumenten und kritischen Rückfragen erreichen – solange man nicht den*die Besserwisser*in gibt und die Sache damit noch schlimmer macht. Wenn jemand hingegen sowieso schon seit Jahren an Verschwörung glaubt, ist es viel schwieriger. Im Zweifelsfall gibt es Fachstellen, an die man sich wenden kann, aber auch von ihnen sollte man keine Wunder erwarten, solange die besagte Person nicht gesprächsbereit ist.

Des Weiteren geht es immer wieder um die Teilnahme an einer sogenannten Hygiene- oder Querdenker-Demo oder wie auch immer sie vor Ort heißt. Zunächst einmal gibt es natürlich das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit; und so seltsam es klingt, aber die Religionsfreiheit umfasst auch das Recht darauf, Unsinn glauben zu dürfen. Begrenzt wird die Ausübung dieser Grundrechte dort, wo die Grundrechte eines anderen Menschen, etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit, gefährdet werden.

Es ist legitim, dass Menschen auf Demonstrationen ihren Meinungen, Ängsten und Sorgen Ausdruck verleihen und Forderungen formulieren. Gleichzeitig sind alle, die auf solche Demos gehen, verantwortlich dafür, sich darüber zu informieren, wer dort spricht, und all denen, die antidemokratische oder rechts- oder linksextreme Positionen vertreten oder Verschwörungsideologien in Umlauf bringen, deutlich zu widersprechen. Zu sagen, „Mir ist es egal, wo jemand politisch steht, Hauptsache er ist auch gegen die Corona-Maßnahmen.“, ist politisch naiv und gefährlich. Veranstalter*innen und Demonstrant*innen tragen eine politische Verantwortung, und zwar auch dann, wenn sie sich instrumentalisieren lassen.

Fazit

In der kirchlichen Weltanschauungsarbeit hatten wir schon lange vor Corona mit Verschwörungsideologien zu tun, aber im Moment ist das Thema natürlich sehr aktuell. Das Gute daran ist, dass viele Menschen nun für dieses Thema sensibilisiert werden und es nicht mehr als harmlose Spinnerei abtun.

10.01.2024
Haringke Fugmann

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